1.7. Vier Monate Stoma

Nun ist mein Stoma, meine Lieselotte, schon vier Monate alt. Es gibt so viele große und kleine Erlebnisse mit Stoma im Alltag, die ich erzählen kann:

Mein neues Körpergefühl

Ich habe keine Berührungsängste mit meinem Stoma. Für mich ist es normal, dass mir etwa 2cm Dünndarm aus dem Bauch ragen. Diese rote Dünndarmschleimhaut gehört genauso zu meinem Körper wie ein Ellbogen oder der Kopf. Es ist beeindruckend, wie anpassungsfähig unser Körper und vor allem unser Gehirn ist. Für mich ist es das Normalste von der Welt, dass ich spüre, wie Kot aus meinem Bauch, oder genauer aus meinem Stoma, läuft, während ich sitze oder gehe. Und dann in einem Beutel landet, den ich ausleere. Mein Stoma pupst gerne, vor allem wenn ich morgens viel trinke, ohne dabei zu essen. Das Pupsen ist geräuschvoll, manchmal klingt es wie Magengrummeln, manchmal gluckert es. Die Luft kitzelt mein Stoma und meine Bauchdecke. Es kribbelt ein bisschen.
Die Versorgung meines Stomas klappte von Minute 1 super. Klebeplatte abziehen, mit Kompressen sauber wischen, trocknen, neue Klebeplatte anbringen, Beutel einrasten lassen. Trotzdem habe ich noch immer nicht die richtige Versorgung gefunden.

Die richtige Stomaversorgung

Durchsichtige, einteilige Stomaversorgung aus dem Krankenhaus: ÄrztInnen möchten die Ausscheidungen immer gerne sehen… Mehr Konfrontationstherapie geht nicht (Quelle: privat)

Ich habe mit einteiligen Systemen in der Klinik angefangen. Allerdings hatte ich von Anfang an Probleme, weil ich durch das Sichtfenster nicht genau sehen konnte, ob ich das Stoma mittig durch das Loch geschoben hatte. Also habe ich zu Hause sehr schnell auf zweiteilige Systeme gewechselt. Hier bringe ich zuerst die Klebeplatte an, ich sehe genau, wo das Stoma liegt. So kann ich exakter kleben. Aber auch damit unterlief mir die Versorgung regelmäßig. Etwa ein Millimeter um mein Stoma herum war die Haut vom Dünndarmstuhl ständig gereizt. Ich bekam Hautschutzringe, die ich auf die Klebeplatte aufbrachte. Schaut bei „Ich bin Stomaträgerin“ rein, da habe ich das beschrieben. Aber auch so unterlief meine Versorgung regelmäßig. Nach fast vier Monaten habe ich nun eine konvexe Versorgung. Die Klebeplatte ist nach innen gewölbt, so dass sie den Bauch etwas eindrückt. Damit ragt das Stoma schön prominent heraus. Die Fläche darum wird plan gedrückt, so dass keine Falte, Narbe oder Mulde vorhanden ist, in die Kot laufen könnte. Bei mir sitzt das Stoma sehr nah am Bauchnabel, dank der Hau-ruck-Aktion des damaligen Chirurgen (siehe 1.2 J-Pouch-Operation: der Tag der Kolektomie). Dadurch entsteht immer eine schiefe Ebene Richtung Bauchnabel. Mit der konvexen Platte ist das nun behoben. Mal sehen, was die Zukunft bringt, aber beiden letzten zwei Wechseln war es erstmalig nicht unterlaufen.

meine neue zweiteilige, konvexe Stomaversorgung (Quelle: privat)

Welche Ursachen kann das Unterlaufen der Versorgung haben:

Unebenheiten um das Stoma

Wie oben beschrieben muss die Klebefläche eben sein oder mit Hilfsmittel eben gemacht werden, damit die Klebeplatte sich komplett an die Haut anschmiegt, sie verschließt und damit schützt. Dafür gibt es konkave und konvexe Platten, Fixierstreifen und Modellierstreifen. Es ist ein bisschen wie ein Bastelkurs für Fortgeschrittene. Der Körper verändert sich stetig. Da hilft Ausprobieren, Nachfragen und üben üben üben. 

Einteilige Stomaversorgung und Hautschutzring (Quelle: privat)

Klebefehler bei der Stomaversorgung

Ich habe keine vorgestanzten Löcher in meinen Klebeplatten. Zum einen verändert sich mein Stoma nach wie vor, zum anderen muss ich das Loch nicht mittig sondern versetzt schneiden, damit ich meinen Bauchnabel aussparen kann – danke an den Chirurgen.

Mein Alltag mit Stoma bedeutet, dass es sich tagesformabhängig einen Millimeter verengt und weitet. Das ist nicht viel, aber für die richtige Versorgung entscheidend. Die Klebeplatte sollte möglichst exakt am Stoma angeklebt werden, so dass keine „normale“ Haut zu sehen ist. Denn nur so kann kein Kot auf die „normale“ Haut laufen. Da ist ein Millimeter wichtig. Meine Stomatherapeutin sagt, dass es nicht dramatisch wäre (die Richtigkeit dieser Aussage kann ich nicht beurteilen), aber je mehr freie Haut um das Stoma liegt, desto mehr kann gereizt und verätzt werden, und desto leichter unterläuft die Platte.

Essen und Trinken

Es gibt natürlich Ernährungsfehler, die die Versorgung zum Explodieren bringen. So nenne ich das, es ist aber nicht wörtlich zu nehmen – keine Sorge. Es schießt keine Kotfontäne aus dem Bauch heraus. Ist der Stuhl zu fest, hält der Kleber nicht mehr auf der Haut, die Klebeplatte wird nach oben gedrückt und der Kot unterläuft die Versorgung. Wenn man es zu spät bemerkt, weil man schläft, läuft der Kot unter der kompletten Platte raus, auf Bauch, Oberschenkel, vielleicht Schlafwäsche, Bettwäsche, Matratze. Ist mir natürlich schon passiert. Das ist eklig aber kein Weltuntergang. Also, Aufstehen, ins Badezimmer, sich selbst sauber machen, Haut reinigen, neue Versorgung drauf, danach um den Wäscheberg kümmern.
Auch bei Magen-Darm oder zu flüssigem Stuhl kann die Platte unterlaufen. Ein Ileostoma ist dafür gemacht, dünnen bis breiigen Stuhlgang zu halten. Wirklich wässrig ist eine Herausforderung. Als ich Magen-Darm hatte, hat die Versorgung zum Glück gehalten, obwohl nur noch durchsichtige Flüssigkeit kam. Ich dehydrierte auch nicht. Aber die Flüssigkeit und auch die Menge kann ein Problem darstellen und die Versorgung kann unterlaufen oder auslaufen.

Prinzipiell musste ich meine Ernährung kaum ändern: überwiegend vegetarisch, viel Obst und Gemüse, roh und gekocht, Vollkornbrot (fein ausgemahlen), Kerne im Salat, alles kein Problem. Mir fehlen im Sommer Tomaten, die ich nur geschält essen dürfte, aber das ist ein kleiner Preis für die Lebensqualität und Freiheit, die mir meine Lieselotte gebracht hat. Ich weiß aber auch, dass es viele StomaträgerInnen gibt, die deutlich mehr Lebensmittel streichen müssen, weil sie sie nicht mehr vertragen.

Meine Ernährungserfahrungen mit Stoma


Kartoffeln und Reis dicken den Stuhl ein, was für uns StomaträgerInnen wichtig ist. Allerdings wurde es bei mir nie zu fest, so dass es mir die Platte abgehoben hätte. Also ein absolutes Plus. Auch als Kombination mit verflüssigenden Lebensmitteln mit vielen Ballaststoffen wie Hülsenfrüchten sehr gut geeignet. Oder bei Magen-Darm-Problemen.
Ich persönlich kann Möhren gut essen, ohne dass es zu sehr eindicken würde, aber ich kenne andere StomaträgerInnen, die gar keine Möhren mehr essen. Ich kombiniere Möhren gerne mit Lebensmitteln, die den Stuhl verdünnen, zum Beispiel Möhrensalat mit gerösteten Kichererbsen oder Möhrensuppe und danach Kaiserschmarrn mit Zwetschgenkompott. Damit habe ich gute Erfahrungen gemacht. Aber: die Dosis macht das Gift. Und jeder ist anders.
Zwiebel und Knoblauch sind ebenfalls gar kein Problem, da habe ich auch schon andere StomaträgerInnen gehört, die das weglassen müssen. Ich esse diese Lebensmittel als Würzmittel in Tomatensauce o.ä., es gibt also keine geschmorten Ofenzwiebeln. Auch alle anderen Gewürze, die ich in meiner Küche benutze von Curry über Kreuzkümmel oder Pfeffer, vertrage ich einwandfrei.
Bei mir sind Nüsse ein schwieriges Thema: sie waren früher ein Grundnahrungsmittel für mich und ich habe Unmengen gegessen. Mit Stoma kann ich einen Teelöffel Nussmus mit einer Banane essen, oder eine halbe Scheibe Brot mit Erdnussbutter und Marmelade. Aber am besten dazu noch etwas anderes wie Obst oder Joghurt, dass das Nussmus nicht isoliert im Verdauungstrakt verarbeitet wird und verstärkt eindickt. Mit zu viel Nussmus habe ich schon diverse Male die Versorgung wechseln müssen, weil sie unterlaufen war.
Auf meinem Speiseplan stehen seit April regelmäßig (veganer) Joghurt und Petersilie, denn sie hemmen den Geruch beim Beutelausleeren. Das hilft immer.

Der Kleber ist defekt

Das musste ich im Urlaub lernen. Ab dem 5. Tag unterlief meine Versorgung jeden Tag – manchmal zusätzlich nachts. Ich versuchte erst, den Versorgungswechsel zu optimieren: kein Erfolg. Ich änderte mein Essverhalten (obwohl ich mir sicher war, dass es daran nicht liegen konnte, aber ich war verzweifelt). Mir gingen die Klebeplatten für den Urlaub aus, obwohl ich mehr als doppelt so viele gepackt hatte, als ich normalerweise brauchen würde. Nachdem ich mir mit dem Fremdsprachenwörterbuch der ILCO e.V. und meinem Französisch in der Apotheke zehn neue Platten gekauft hatte, war klar: der Kleber der mitgebrachten Platten war hinüber. Wahrscheinlich war die Lagertemperatur zu warm. Der Kleber klebte nicht mehr richtig. Mit den neuen Platten war der restliche Urlaub dann kein Problem mehr.

Wanderung im Elsass (Quelle: privat)

Sportbandage

Um die Bauchdecke zu entlasten, gibt es Sportbandagen. Sie geben der Bauchmitte Halt, obwohl ein Loch in den Bauchmuskeln ist. Die Bandage soll bei Heben oder sportlichen Betätigungen wie Joggen getragen werden. Diese Bandagen werden extra vom Sanitätshaus angepasst, da sie genau am Körper anliegen müssen, sie sollen stützen aber nicht einschnüren. Man kann auch welche von der Stange kaufen, aber bei meiner Figur ist das nicht ratsam. Ich habe eine Sanduhrenfigur mit einer schmalen Taille und einer breiten Hüfte. Die Bandage liegt genau in diesem Übergangsbereich, daher wurde sie für mich von einem Fachmann genau angepasst. Aber wie bei vielem, was neu ist, wusste ich selbst nicht, worauf ich achten sollte. Der Mann nahm Maß an der Stomastelle und schrieb sich das Stichwort „Taille“ auf. Mit der angepassten Bandage kam er zu mir, zog sie mir an, sagte „Passt“ und ging mit den Worten „Wenn noch etwas sein sollte, können Sie sich jederzeit melden“.
Als ich nach mehreren Wochen die Bandage erstmals brauchte, stellte ich fest, dass sie nicht passt. Trotzdem nutzte ich sie nach dem Motto „besser als nichts“. Die Versorgung unterlief regelmäßig mit Sportbandage, und ein Mal beim Wechseln stellte ich fest, dass sich das Stoma auf Bauchhöhe zurückgezogen hatte. Nach einer Millisekunde Schock drückte ich auf meinen Bauch um das Stoma und es wölbte sich sofort wieder heraus. So konnte ich die neue Versorgung anlegen, aber der Schock saß tief.

Der Klettverschluss an der Seite sitzt schief, dadurch kann ich mich nicht hinsetzen (z.B. wenn wir mit dem Auto zu einer Wanderung fahren). Vor der Anpassung war der Klettverschluss so nah an der Versorgung, dass ich den Überschlag nicht ordnungsgemäß anbringen konnte. (Quelle: privat)

Beim erneuten Besuch des Fachmanns wird klar, die Taille muss enger genäht werden, außerdem drücken Verstärkungen an den Seiten genau auf meinen Hüftknochen und verursachen blaue Flecke. Innerhalb weniger Tage werden meine Bandagen angepasst. Nun sitzen sie, wie sie sollen.

Sportbandage ist gerade zugeklettet. Der Überschlag ist mit der richtigen Enge über der Versorgung geschlossen. (Quelle: privat)

Ich habe gelernt:

>Zieh die Bandage selbst an und frage, ob du alles richtig machst.
>Frage, ob der Sitz der Bandage genau so gehört.
>Frage, wie eng oder weit du die Bandage kletten sollst. Welche Richtwerte oder Hilfestellungen gibt es, um zu wissen, dass es richtig ist.
>Und: teste alles sofort, auch im Alltag, einfach nur, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Es ist neu für dich, es darf ungewohnt sein, aber genau deshalb sollst du dich daran gewöhnen.

So, und nun bin ich eine Woche vor der zweiten Operation. Es fühlt sich wie eine ungeliebte Dienstreise an: man muss packen, kennt die Leute, manche mag man, manche nicht, man kennt das Hotel (oder in meinem Fall das Krankenhaus) und weiß, dass das Essen nicht schmecken wird. Ich kenne das Gefühl der Narkose und die Schmerzen nach einer Bauchoperation. Es ist klar, welche Schläuche an mir hängen, welche Drainagen meine Körperöffnungen vervielfältigen werden. Und ich werde wieder mit Stoma aufwachen, daher ist diese Operation die wahrscheinlich undankbarste. Die erste war die Erlösung von Schmerzen und ständigen, blutigen Durchfällen, die letzte wird die Befreiung vom Stoma. Nun wird der Pouch angelegt, aber äußerlich wird sich nichts verändert haben. Außer ein paar mehr Narben auf meinem Bauch, die meine Lebensgeschichte erzählen.

Von Verena

Mein Name ist Verena- Ich möchte meine Erlebnisse mit CU teilen und gleichzeitig Mut machen.

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