1.4. J-Pouch-Operation: Tag 2 nach der Kolektomie

Kampfgeist

Ab heute kommt mein menschliches Ich wieder zurück. Ich möchte duschen, ich fühle mich unwohl, verschwitzt und stinkend. Alle sagen mir, dass ich nicht stinke, aber ich fühle mich dreckig. Ich darf wegen des ZVK noch nicht duschen. Nur Katzenwäsche ist erlaubt. Also nehme ich einen feuchten Waschlappen und rubbel mich ab. Es ist nicht das gleiche wie duschen. Das ist ein weiterer Grund, möglichst schnell die Schmerzmittel zu reduzieren, den ZVK los zu werden. Duschen ist das Ziel. Ab heute bekomme ich ein Schmerzmittel als Tabletten – überlappend zur Infusion, damit der Spiegel im Körper erhalten wird. Ein weiterer Schritt, um den ZVK ziehen zu können. Dazu wird der Novalgintropf ersatzlos gestrichen Mir ist alles recht, was mich der Normalität näherbringt. Ich möchte in den Park gehen können, ich möchte nach Hause. Ich möchte mein Leben wieder haben. Ich gehe alle Maßnahmen der ÄrztInnen dankend mit.
Das ist die Kämpferseite an mir. Die Positive, die Optimistin in mir.

Verletzlich und einsam

Allerdings gibt es auch die traurige Verena: meine Zimmernachbarin macht von Rolf Zuckowski das Kinderlied „Ich schaff das schon“ an. Ich fange direkt an zu weinen: ja, ich schaff das schon. Und ja, ich schaff das auch alleine. Aber es ist hart, es alleine können zu müssen. Es trifft mich tief im Herzen. Mir wird klar, dass ich seit Jahren Einzelkämpferin bin, dass ich das kann, aber dass ich das eigentlich gar nicht möchte. Ich möchte ein Teamplayer sein. Ich möchte gemeinsam kämpfen können. Diese Erkenntnis ist erschreckend und ehrlich. Als ich fertig geweint habe, geht es mir viel besser.

Glückwunschgruß meines Mannes aus dem Garten (Quelle: privat)

Später gehe ich wieder mit meinem Infusionsständer über den Flur. Heute ist der 10. Hochzeitstag von meinem Mann und mir. Ich spüre, wie sich die Einsamkeit von hinten anschleicht, mich überwältigt. Ich fange während des Gehens an zu weinen. Geräuschlos laufen mir die Tränen über das Gesicht. Ich bin traurig, ich möchte in den Arm genommen werden, ich möchte von meiner Familie umgeben sein, aufgehoben und geborgen. Stattdessen bin ich in einer sterilen, unpersönlichen Umgebung. Auch wenn die PflegerInnen sehr freundlich sind, ich mit den Zimmernachbarinnen lache und rede, fühle ich mich alleine. Es ist eine schwere Zeit. Mein ganzes Leben hat sich verändert, zwar zum Besseren, aber noch kann ich das nicht spüren. Heute ist ein schwerer Tag für mich.

Fakten

Vertrockneter Weißtoast als erste, feste Nahrung (Quelle: privat)

Heute gibt es zum ersten Mal feste Kost: weißer Toast. Und wenn ihr denkt, bei weißem Toast kann man nichts falsch machen, kann ich euch nur sagen: DOCH! Bis jetzt habe ich schon oft weißen Toast im Krankenhaus gegessen, weil es einfach das Standardlebensmittel der Dickdarmschonkost ist. Aber hier ist der Weißtoast an den Rändern und der Oberfläche angetrocknet, weil er so lange auf dem Teller liegt. Ich wusste gar nicht, dass Toast das kann. Ich dachte, er ist so mit Feuchthaltemitteln behandelt, dass man ihn durch die Wüste tragen kann und er immer noch saftig ist. Aber nein, Weißtoast kann trocknen. Und ich sage euch, das ist nun wirklich nicht mehr lecker. Und ja, auch wenn ich von einer schweren Krankheit komme, möchte ich mich hier über diesen Toast beschweren! Kalte Suppe zum Frühstück, okay, Tütensuppen, okay, aber angetrockneter Toast?! Da hört es für mich auf.
Außerdem muss ich heute unendlich oft Pipi machen. So viel trinke ich nicht (auch wenn ich die Suppen einrechne), wie ich pinkeln muss. Ich war nach der Kolektomie sehr aufgequollen. Ich nehme kein Cortison mehr, daher kann ich mir das nicht erklären. Aber scheinbar ist es so, dass manche Körper nach einer Operation aus Operationsstress heraus Wasser einlagern. Ich war richtig aufgedunsen. Mein Gesicht war rund, mein Bauch aufgebläht, die Hände geschwollen. Seit heute wird es besser, ich piesel alles aus.

Die Versorgung wird für mich gewechselt, die Ärztin stellt bei der Visite fest, dass sie ausgelaufen war. Ich rieche schon die ganze Zeit Kot, nun weiß ich, wo es herkommt. Die nächsten Tage rieche ich ständig Kot. Ich frage meine Zimmernachbarinnen, ob ich stinke, ob sie etwas röchen, aber nein. Das ist also der Phantomgeruch, von dem ich gelesen habe. Eine fiese Einbildung des Gehirns, man selbst denkt, man stinkt nach Kot, es ist aber nur eingebildet. Ich werde dieses Gefühl die ganze Zeit in der Klinik nicht mehr los.
Beim Wechsel schaue ich interessiert zu. Wische schon mal um mein Stoma die Haut trocken. Berührungsängste habe ich nicht, aber ich finde es eklig. Das Beutelausleeren mache ich schon alleine. Das ist nicht schwer.

Von Verena

Mein Name ist Verena- Ich möchte meine Erlebnisse mit CU teilen und gleichzeitig Mut machen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Cookies, oder ähnliche Technologien, um Geräteinformationen zu speichern und/ oder darauf zuzugreifen. Mit deiner Zustimmung können wir Daten wie das Surfverhalten oder eindeutige ID\'s auf dieser Website verarbeiten. Ohne Zustimmung können bestimmte Funktionen beeinträchtigt sein.   Datenschutzerklärung