1.1. J-Pouch-Operation: die Kolektomie

Der Tag der Kolektomie rückt näher:

Ich bin seit Gründonnerstag bei meinen Nachbarn im Exil: mein Mann hat Corona und mein Jüngster auch. Die beiden anderen sind negativ-getestet. Ich möchte meinen Mann unterstützen. Auch wenn er einen milden Verlauf hat, ist es schwer, selbst krank drei Kinder zu bespaßen, und dabei nicht rausgehen zu dürfen. Unsere Jungs haben ein hohes Energielevel, sind viel draußen. Da wird unser kleiner Reihenmittelhausgarten schnell zu klein. Und ich weiß, dass das Jammern auf hohem Niveau ist. Viele Menschen haben nicht mal einen Garten, in den sie bei Quarantäne gehen können.
Natürlich ist es völlig undenkbar, dass ich mich nun der Gefahr aussetze, mich selbst anzustecken. Dann müsste die Operation verschoben werden. Trotzdem fühle ich mich, als würde ich meine Familie und vor allem meinen Mann im Stich lassen.
Da ich bei den Nachbarn wohnen darf, kann ich zum Abendessen durchs Fenster schauen und ein bisschen dabei sein (ich esse sowieso ab 12:30 Uhr nichts mehr, damit ich wenigstens schlafen kann). Ich habe durch meinen Hals-über-Kopf-Auszug viel vergessen und kann mir die Sachen eben schnell holen. Sie stehen dann immer schon vor der Haustür – bloß kein Kontakt. Am Ostersonntag kommt der Osterhase ausnahmsweise schon vor dem Frühstück. Ich schaue übers Gartentörchen zu. Manchmal ist das Wetter so schön, dass sie im Garten abendessen und ich in drei Metern Abstand auch im Garten sein kann.

Am Ostermontag hat mein Ältester Geburtstag, er wird 8 Jahre alt. Morgens schaue ich durchs Fenster beim Geschenke auspacken zu. Dabei weine ich vor mich hin, es ist einfach nur scheiße. Kinder fiebern auf ihren Geburtstag so lange hin und denken danach lange daran. Und ich bin nicht dabei. Für dieses Jahr. Es gibt keine Wiederholung. Erst zu seinem 9. Geburtstag werde ich wieder anwesend sein. Das bricht mir das Herz. Wie ich die Situation sehe, ist es für mich schlimmer als für meinen Sohn, aber ich kann nicht in sein Herz sehen.

Ich bin mittlerweile sehr schwach. Ich habe kein Kraft mehr, Prähabilitation zu betreiben. Ich vermeide jede Anstrengung: Treppe steigen, spazieren. Ich mache nichts, was nicht muss. Ich habe keine Energie mehr, weil ich nicht mehr viel esse, weil die Entzündung im Körper wütet, und ich habe auch keine Motivation mehr. Ich habe alles getan, was ging, jetzt bin ich mental am Ende. Außerdem mache ich alles ein letztes Mal: ein letztes Mal duschen mit Dickdarm, ein letztes Mal packen, ein letztes Mal frühstücken. Ich fühle mich schrecklich. Die Situation alleine durchs Haus zu gehen, um für die Klinik zu packen, ist emotional aufreibend: das leere Haus, meine Familie weg, die Vorbereitung auf eine Operation, die FFP3-Maske, die das Atmen so unendlich mühsam macht. Der Countdown ist furchtbar. Ich quäle mich durch jede Minute.

Ostermontag Nachmittag bringt mich mein Nachbar ins Krankenhaus. Er kennt das schon. 2019 hat mich auch schon mal weggebracht. Ich komme über die Ambulanz zur Station, weil Feiertag ist. Mein PCR-Test wird in den Computer eingegeben und ich komme auf mein Zimmer. Nur eins der drei Betten ist besetzt, aber meine Zimmernachbarin ist unterwegs. Ich kann in Ruhe auspacken. Ich bin total durcheinander, packe teils aus, stelle den Koffer in den Schrank, hab wieder was vergessen, nehme den Koffer wieder raus. Ich merke richtig, dass ich einfach am Ende bin. Die Kinder halten einen am Laufen, der Alltag, das Hinarbeiten auf die OP, aber nun ist alles weg. Und ich merke, wie ich nur noch eine leere Hülle bin.
Ich bekomme pünktlich um 16 Uhr Abführmittel. Es reinigt den Darm etwas für die bevorstehende Entfernung des Dickdarms. Er wird nicht komplett geleert wie bei einer Coloskopie. Ja, da gibt es große Unterschiede in Abführmitteln. Die Vorbereitung für eine Coloskopie hat mir regelmäßig den Kreislauf ausgehebelt, da ging nichts mehr. Nun habe ich einfach nur mehr Durchfall als mit Colitis ulcerosa. Das ist kein Drama. Um 18 Uhr bekomme ich acht Fläschchen Antibiotika. Die sollen in einen Becher gekippt, mit Wasser aufgefüllt und getrunken werden. Das Antibiotikum soll das Risiko für Entzündungen an der Anastomose (= Naht) senken. Ich fülle den Becher komplett mit Wasser und fange an zu trinken. Der Geschmack ist gruselig. Wirklich schrecklich. Ich ärgere mich: für die nächste OP nehme ich deutlich weniger Wasser, kippe mir das Zeug schnell rein und spüle mit reinem Wasser nach. Wieder was gelernt.

mein Bett für die nächsten Tage (Quelle: privat)

Ich hatte beim Vorbereitungsgespräch angemerkt, dass es sein könnte, dass ich etwas zur Beruhigung brauchen könnte oder etwas zum Schlafen. Alles war in meiner Akte vermerkt, aber ich brauchte nichts. Ich war nicht aufgeregt. Hätte ich im Leben nicht gedacht, dass ich diesen Tag und diese Nacht ruhig sein würde, aber ich war es. Ich habe lange genug auf diesen Eingriff gewartet. Obwohl ich seit Tagen nicht mehr viel esse, das Abführmittel genommen habe, muss ich nachts noch 2x zur Toilette. Es kommt nur noch Blut. Und zwar richtig viel. Es ist einfach die richtige Zeit für die OP.

Von Verena

Mein Name ist Verena- Ich möchte meine Erlebnisse mit CU teilen und gleichzeitig Mut machen.

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