0.2. Chronik der Colitis-Schübe

5kg in 2 Wochen abgenommen (Quelle: privat)

Mai 2020

Da ich im Mai 2020 komplett medikamentenfrei war und auch nicht schwanger, im Gegensatz zu 2018/2019, konnte mein Gastroenterologe bei meinem neuerlichen Schub aus dem Vollen schöpfen. Standardmäßig wird mit Mesalazin angefangen. Ich bekam GranuStix, ich bekam einen Rektalschaum. Ja, ich sprühte mir einen Schaum in den Hintern. Während vor meinem Arzttermin die Symptome von Tag zu Tag mehr wurden, mehr Blut, häufiger Durchfall, Schwäche, wurde es mit dem Mesalazin besser. Aber es wurde nicht gut. Also bekam ich einen Rektalschaum mit einem lokal wirkenden Cortison. Dieses Medikament hat nicht die Nebenwirkungen von Cortisontabletten (also systemischem Cortison). Ich wurde mit keinem der Medikamente symptomfrei. Aber der menschliche Körper und auch die Psyche sind bemerkenswert. Man gewöhnt sich an alles. Irgendwann (und das dauert erschreckenderweise gar nicht so lange) ist es normal, 4x am Tag Durchfall zu haben, Blut im Stuhl zu haben. Der restliche Tag läuft normal weiter. An das neue, schwächere Energieniveau gewöhnt man sich auch. The show must go on.

Juli 2020 – Januar 2021

Ribeauvillé
Drei Burgen bei Ribeauvillé (Quelle: privat)

Wir lebten also weiter wie eine normale Familie und fuhren im Sommer ins Elsass in den Urlaub. Eine Auszeit vom Alltag als Hausfrau, gefühlt auch von Corona. Wir genossen gutes Essen und noch besseren Wein, kauften kistenweise bei unserem Lieblingswinzer ein und ließen es uns gut gehen. Wir waren viel im Wald unterwegs, kraxelten auf Berge und eroberten Burgen. Und nach 10 Tagen wurde meine Colitis mit jedem Tag schlimmer. Ich musste öfter aufs Klo, ich musste nachts auf Klo. Sobald ich etwas aß oder trank, musste ich sofort zum Klo rennen. Und „rennen“ ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen. Also frühstückten wir, ich ging mehrere Male aufs Klo, wir packten Proviant ein und gingen wandern bei über 30 Grad. Ich aß und trank nichts, sonst hätte ich mittendrin in den Wald kacken müssen (ja, diese derbe Ausdrucksweise schildert die Situation am besten). Fünf Stunden wandern und nichts trinken bei sommerlicher Hitze ist eine Herausforderung für Körper und Geist. Gegen Ende der Touren habe ich meine Familie nur noch angepampt, ich war dehydriert und hatte einfach keine Geduld mehr. Wenn ich bedenke, wie lange Muslime bei Ramadan nichts essen und trinken, kann ich nur meinen Hut ziehen. Es ist eine Tortur für Körper und Geist.
Die Rückfahrt aus dem Elsass war, freundlich gesagt, eine Herausforderung: eigentlich dauert sie nur vier Stunden. Ohne Essen und Trinken wäre das gut möglich gewesen. Leider kamen wir in eine Vollsperrung und waren acht Stunden unterwegs. Aber auch das musste ich aushalten. Zu Hause angekommen machte ich direkt einen Notfalltermin bei meinem Gastroenterologen aus. Der erste Terminvorschlag der Sprechstundenhilfe war in drei Wochen. Da sagte ich schlicht: „Nein.“
„Wie nein?“
„Nein, das mache ich nicht. Das ist viel zu spät. Das ist kein Notfalltermin. Das muss anders gehen.“
„Warten Sie bitte. Ich spreche noch mal mit dem Arzt.“ – Warteschlangenmusik – „Hören Sie? Es ginge auch morgen um 12 Uhr.“
Das muss man nicht verstehen, oder? Aber so kam ich an meinen NOTFALLtermin und bekam bald darauf meine erste Infusion Entyvio. Die Infusion schlug schnell an und ich wurde symptomfrei. Da war im September. Nach den ersten Infusionen durfte ich auf Spritzen umstellen, die ich mir selber in die Bauchspeckfalte spritzten konnte. Ich spritzte mich immer vor den Kindern, damit sie sahen, dass Spritzen nichts Beängstigendes waren. So konnte ich noch pädagogisch damit arbeiten.

Im Januar 2021 fuhren zur Mutter-Kind-Kur ins Allgäu als ganze Familie. Als Mama von drei Kindern darf man als gesetzlich Versicherte/r eine kostenlose Begleitperson mitnehmen. Also fuhren wir mit meinem Mann. Es war eine wunderbare Zeit: kein kochen, putzen, einkaufen, planen. Diese ganze Mental Load, die man als Mama hat, wurde mir abgenommen. Ich merkte, wie viel Kraft plötzlich frei war, wenn man das los hatte. Es war traumhaft. Aber in der letzten Woche musste ich schon wieder häufiger aufs Klo und es kam wieder Blut dazu. Dieses Mal fühlte ich mehr so etwas wie: „Ach schon wieder. Ja, kenn ich. Ist halt so.“ Wie gesagt, man gewöhnt sich an alles.

Februar 2021 – September 2021

Zu Hause also wieder zum Arzt. Und bei jedem Arztbesuch heißt es: Blutabnahme, Stuhlprobe. Man läuft also zwei Tage nach dem Arzttermin wieder in die Praxis mit zwei kleinen Röhrchen, in denen man seinen Stuhl rumträgt, um sie abzugeben. Jedes Mal habe ich Eisenmangel aber auch nie besonders hohe Entzündungswerte trotz starker Symptome, was dazu führte, dass der Arzt mir tendenziell nicht glaubte. Da es mir mit den Infusionen gut ging und mit den Spritzen die Symptome wieder anfingen, überzeugte ich den Arzt, mir wieder Infusionen zu geben. Die Zeitspannen, die ihr oben lest, kommen einem so lange vor, aber wenn man die Infusionen alle acht Wochen bekommt und man einige braucht, um einen Spiegel im Blut aufzubauen, dann sind das keine großen Zeitsprünge, in denen ich mich hier bewegt habe. Mit den Infusionen wurde es wieder schleichend besser. Und Ende August war ich wieder symptomfrei. Ich konnte mich ein Mal mit einer Freundin in Bonn treffen und in der Stadt auf einem Mäuerchen einen warmen Kakao trinken. Ohne Angst gleich aufs Klo zu müssen. Das war ein Highlight, ich konnte mein Glück kaum fassen!
In den letzten Monaten sagte ich meinem Gastro auch bei jedem Besuch (und es waren viele), dass ich Schmerzen mittig direkt unter dem Brustkorb hätte. Er nahm sich dem nie an, kontrollierte immer nur den Darm. Meine Hausärztin stellte dann eine akute Pankreatitis fest und ich musste direkt ins Krankenhaus. Das war ein Montag. Ich war symptomfrei. Ab Dienstag hatte ich 10 Stuhlgänge am Tag, blutige Durchfälle. Meine Colitis war komplett zurück. In meiner Leichtgläubigkeit dachte ich, es geht wieder weg, wenn ich ausm Krankenhaus raus bin. Mein Blog belehrt mich eines Besseren.

September 2021 – Dezember 2021

Nach neuerlichen Versuchen mit zusätzlich Mesalazin und Rektalschäumen mit diversen Wirkstoffen wird das total neue und superwirksame Stelara ausprobiert. Wieder Subkutanspritzen. Meine Kinder sind mittlerweile gelangweilt vom Spritze-in-Bauch-Zuschauen. Aber bei Impfungen sind alle drei die Tapfersten der Welt. 😉
Es wird besser aber nicht gut.

Weihnachtsbaum (Quelle: privat)
Und dann kommt der Freitag vor dem 1. Advent. Ich gehe morgens zur Massage (ein Versuch der Selbstheilung in Anlehnung an die Ayurvedaärztin, siehe Alltag mit Colitis ulcerosa), mittags mit meinem mittleren Sohn schwimmen, fürs Seepferdchen trainieren. Nachmittags lege ich mich erschöpft etwas hin. Ich stelle mir den Wecker und wache mit Schüttelfrost auf. Ich zittere am ganzen Körper. Ich stehe trotzdem auf, möchte mit meinem Mann den Abendbrottisch decken. Er sieht mich an, als hätte ich nicht mehr alle Latten am Zaun. Und seien wir ehrlich: ich hatte nicht mehr alle Latten am Zaun. Ich solle mich hinlegen. Ich saß auf der Couch, mit meinem Fußwärmer, der Decke, meine Kinder brachten mir noch Schal und Mütze. Ich zitterte am ganzen Körper. Es hörte nicht auf. Es brauchte zwei Stunden und noch zusätzlich ein Wärmekissen, bis ich halbwegs wieder zitterfrei war. Und ab Samstag lag ich komplett. Die Colitis war so stark zurück wie noch nie: ich hatte Bauchschmerzen, ich hatte extremen Durchfall. Es kam mehr raus als reinkam. Ich konnte mich nur 5m ums Klo aufhalten, weil ich sehr schnell sein musste. Ich hatte nur noch Hosen mit Gummizug an, weil ich keine Zeit hatte, Knöpfe zu öffnen, wenn der Stuhldrang kam. Ich schaffte es diverse Male auch die 5m nicht bis zum Klo. Dann landete Durchfall in der Unterhose, der Hose, dem Klo, mit Pech noch auf dem Kloteppich, ein Mal auch an der Wand. Es war eine riesengroße Sauerei. In dieser Zeit habe ich nur noch weiße Brötchen und Moro-Suppe gegessen. Aber alles kam sofort wieder raus. Ich kämpfte mich von Novalgin-Dosis zu Novalgin-Dosis. Nach fünf Tagen bekam ich die Erlaubnis Cortison zu nehmen. Hurra, dachte ich. Auch wenn es Teufelszeug ist, es hat auch eine wahnsinnig hohe Wirksamkeit und ich war so erschöpft, dass ich einfach nur etwas haben wollte, was wirkt. Und das tat es nicht. Ganze zwei Wochen wirkte das hochdosierte systemische Cortison nicht, es nahm mir nur die Schmerzen. Ich konnte also drei Wochen das Haus nicht verlassen: nicht einkaufen, die Kinder nicht in den Kindergarten bringen oder abholen, nicht in den Keller, Wäsche waschen oder ähnliches. Alles musste mein Mann erledigen. Innerhalb von 24h wurde er mal wieder zum alleinerziehenden vollzeitarbeitenden Ehemann mit einer kranken Frau. Es war einfach nur scheiße.

Und nun war klar: so geht es nicht weiter. Dieser Dickdarm wird nicht mehr heilen. Es wird kein Medikament geben, das mich dauerhaft in Remission bringt. Was mir Sicherheit und Alltag bescheren kann. Mein einzig sinnvoller Ausweg: eine J-Pouch-Operation. Der Entschluss stand fest.

Von Verena

Mein Name ist Verena- Ich möchte meine Erlebnisse mit CU teilen und gleichzeitig Mut machen.

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